„Wenn wir uns streiten, werden wir scheitern ...“

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„Wenn wir uns streiten, werden wir scheitern ...“

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Mehr als 150 000 ha Kahlflächen verändern das Bild der Wälder in NRW v. a. in den Mittelgebirgen dramatisch – ohne dass eine Ende des Schreckens erkennbar wäre. Daraus erwächst auch für die Jäger in NRW eine besondere Verantwortung. Der Landesjagdverband veranstaltete dazu ein hochkarätiges Symposium.

LJV-Präsidentin Nicole Heitzig begrüßte mehrere hundert Teilnehmer in Werl und erinnerte an die gemeinsame Erklärung von LJV und Waldbesitzern in NRW schon vor über drei Jahren. Die Jäger in NRW stünden zu ihrem Versprechen, an der Seite der Waldbauern zu stehen und beim Aufbau der neuen Wälder zu helfen. Aber das Wild sei nicht an allem schuld – und nur allein mit immer höheren Abschüssen sei es nicht getan. Daher warb die LJV-Präsidentin engagiert für eine echte wildökologische Raumplanung – mit der Einrichtung einer effektiven jagdlichen Infrastruktur (Schneisen- Systeme schon vor der Wiederbewaldung) oder der Anlage von Äsungs- und Wildruhezonen. Ihr Motto: Die Jäger in NRW sehen ihre große Verantwortung – sind aber keine Schädlingsbekämpfer! 

In seinem Grußwort forderte Dr. Philipp Frhr. Heereman (Vorsitzender Waldbauernverband NRW) dazu auf, angesichts der dramatischen Waldverluste eine gemeinsame „innere Meß-Latte“ neu zu justieren: „Was ist heute ein normaler Wildbestand – wir brauchen ein neues Normal !“ Auch wenn er sich ausdrücklich zu Wald mit Wild bekannte, stünde derzeit ganz klar der Abbau eines Überschusses auf der Agenda. In Sachen Rehwild sieht er dabei die Jäger in NRW auf dem richtigen Weg, beim Rotwild in bestimmten Regionen (rund um den Nationalpark Eifel) gäbe es noch viel zu tun ... Heeremans Appell: „Wenn sich Waldbesitzer und Jäger dabei streiten, werden wir scheitern!“

Dr. Rudi Suchant (Leiter Wildtierinstitut, Forstl. Versuchsu. Forschungsanstalt Baden-Württemberg) erläuterte, dass man den nordrhein-westfälischen Weg in Baden-Württemberg schon länger beschreitet.
Prof. Dr. Sven Herzog (Lehrstuhl Wild-ökologie und Jagdwirtschaft, TU Dresden) präsentierte Gedanken zu einem zeitgemäßen Wildtier-Management im Wald. Weil Stabile Wälder statt toter Tiere das gemeinsame Ziel von Waldbesitzern und Förstern sei, gehe es nun darum, dass Forst und Jagd ihre Hausaufgaben machen. Ein besseres Verständnis für die Position des jeweils anderen und der respektvolle Umgang miteinander seien dazu wichtige Voraussetzungen, so Herzog.

Prof. i. R. Dr. Friedrich Reimoser (Universität für Bodenkultur & Veterinärmedizin Wien) stellte ein über mehere Jahrzehnte durchgeführtes Langzeitmonitoring zu Wald, Reh- und Rotwild vor. Sein Plädoyer – nicht alles, was auf den ersten Blick wie ein forstlicher Schaden aussieht, ist auch einer. Um sauber abzuwägen (bevor man von der Jagd etwa erhöhte Abschüsse fordert), gelte es v. a., seine eigenen forstlichen Ziele festzulegen ... und gemeinsam mit betroffenen Jägern auch zu kommunizieren.
Dietrich Graf Nesselrode (ehem. Vors. PEFC NRW) berichtete über die Bedeutung der Jagd für zertifizierte Forstbetriebe. Sollte bei der Kontrolle öffentlich geförderter Forstmaßnahmen (alle 10 Jahre) der sog. Auditor feststellen, dass die Ziele durch den Einfluss von Schalenwild zunichte gemacht worden sind, würden vom Waldbesitzer die Zuschüsse zurückgefordert ! Auch Nesselrode bekannte sich ausdrücklich zu Wald mit Wild – forderte aber ganz klar Wälder mit angepassten Wildbeständen. Das Hauptproblem auf dem Weg dahin sah er für kleinere und mittelgroße Waldbesitzer als Mitglied verpachteter Gemeinschaftsjagdbezirke bzw. Jagdgenossenschaften.

Hans v. d. Goltz (Bundesvors. AG Naturgemäße Waldwirtschaft/ ANW) referierte zu naturgemäßer Wiederbewaldung – Potenziale nutzen, ergänzen und richtig jagen. Unsere Wälder stünden heute grundsätzlich vor massiven Störungen – neben massiv gestiegener Temperaturen und Trockenheit, dem Abbau des humösen Oberbodens und Rüsselkäfern seien dies auch überhöhte Schalenwild-Bestände.
Für ein derzeit diskutiertes neues Bundeswaldgesetz wünschte er sich ein dort verankertes Leitbild für stabile Wälder der Zukunft – und die Freiheit für alle Besitzer für den Weg dorthin. Er warb für unordentliche Wälder, die stabiler und resilienter wären. Doch dabei gäbe es ein massives Schalenwild-Problem, v. d. Goltz: „Unsere Hauptsorge ist die Entmischung – egal, ob bei Naturverjüngung oder Pflanzung.“ Zentrale Forderungen der ANW seien deshalb, dass auf der Fläche bereits vorhandene Baumarten ohne – und neu Einzubringende mit Schutz heranwachsen müssten. Er warb für den gemischten Dauerwald („mit Sicherheit auch ein besserer Wildlebensraum, aber bis dahin müssen wir erst einmal kommen!“).

Dr. Michael Petrak (ehem. Leiter Forschungsstelle f. Jagdkunde u. Wildschadenverhütung NRW) berichtete über Wiederbewaldung als Aufgabe für Jagd, Lebensraumgestaltung und Tourismus. Beeindruckende Untersuchungen etwa nach der Umwidmung des Truppenübungsplatzes Vogelsang zum Nationalpark Eifel dokumentierten die massiven Störungen des einst tagaktiven Rotwildes angesichts der Besucherströme. Auch bei der Wiederbewaldung, so Petraks Appell, sei es daher unerlässlich, dass sich die Beteiligten vor Ort sauber abstimmen – zum Wohle der Wälder UND des Wildes!

„Im Moment sind Jäger wichtiger als Förster ...“

Vor einer Podiumsdiskussion interviewte Moderator Michael Broker (WDR) die Waldbesitzerin und Jägerin Dorothea Zeppke-Sors aus dem Märkischen Kreis. Sie zeigte sich angesichts des nicht endenwollenden Sterbens auch ihrer Wälder tief erschüttert. Der Austausch und Dialog zwischen Waldbesitzern, Förstern und Jägern ist ihr ein Herzensanliegen. Angesichts der aktuellen Herausforderungen auf den riesigen Freiflächen ließ ihr Appell keinen Raum für Interpretationen: „Damit die Wälder der Zukunft wachsen können, sind im Moment Jäger wichtiger als Förster ...“

Gemeinsam kleine Schritte gehn

Wenn sich aber doch alle Beteiligten wirklich einig wären – wollte Moderator Broker wissen – warum hake es dann vor Ort erkennbar immer noch – läge das vielleicht „an Bollerköppen“ auf beiden Seiten?

Thomas Kämmerling (Leiter Landesbetrieb Wald & Holz NRW) dachte in dieselbe Richtung und warb für den Aufbau eines begleiteten Dialogs, wenn nötig auch unter Zuhilfenahme von Mediatoren. Unter Förstern gelte zudem die oft kritisierte Parole Nur ein totes Reh ist ein gutes Reh längst nicht mehr. 

LJV-Präsidentin Nicole Heitzig warb anstelle pauschaler Abschusserhöhungen für eine wildökologische Raumplanung, die diesen Namen auch verdiene. Dabei warb sie dafür, größere Einheiten nicht zu zerschlagen – etwa durch die Einrichtung von Mini-Pirschbezirken. Gerade beim Rotwild wäre das kontraproduktiv – und lasse die Schäden weiter ansteigen. Stattdessen warb sie bei den Eigentümern darum, sich bei auslaufenden Verträgen den Neupächter sorgfältiger auszusuchen.

Ute Kreienmeier (stv. Geschäftsführerin kommunaler Waldbesitzer NRW) verdeutlichte weitere Nöte der Waldbesitzenden – durch das freie Betretungsrecht gelte im Wald quasi 365 mal hintereinander einen Tag der Offenen Tür – mit allen vorstellbaren Problemen für Wildtiere und Jäger.

Anstelle der von manchen erhobenen Forderung nach einer Sperrung der Wälder schwebt Thomas Kämmerling eine bessere Lenkung von Waldbesuchern vor, etwa mit Hilfe von Rangern. Angesichts einer wirklich historischen Herausforderung (derzeit mehr als 150.000 ha Freiflächen in NRW) seien Jäger, Förster und Waldbesitzende geradezu zur Zusammenarbeit verdammt ...

Nicole Heitzig blies da ins selbe Horn – Lösungen könne es nur vor Ort und gemeinsam mit allen Beteiligten z. B. durch regelmäßige Wald- und Revierbegänge geben. Demgegenüber erklärte sie ordnungsrechtlichen Maßnahmen eine klare Absage. Dazu passte dann auch der Schluss-Appell von Frhr. Heereman – auf dem Weg zu den (klima)stabilen Wäldern der Zukunft helfe weder Waldbesitzern noch Jägern staatlich verordneter Zwang. Die gemeinsamen Ziele erreiche man nur in Freiheit.

Fazit der gelungenen Veranstaltung: Man braucht wahrlich kein Prophet sein, um „das Besondere“ des Miteinanders der Betroffenen hier bei uns zwischen Rhein und Weser zu erkennen. Sich gemeinsam auf den Weg zur Lösung einer wahren Jahrhundertaufgabe zu machen, erklärten schon vor über drei Jahren Jäger und Waldbesitzende. Doch dieser nordrhein-westfälische Weg darf nicht nur auf dem Papier oder in wohlfeilen Erklärungen verhocken. Er muss draußen in den Revieren, draußen im Wald gelebt und umgesetzt werden. Das wird nicht schnell gehen. Der Weg ist lang – und doch ohne jede erkennbare Alternative.

Am Ende können stabilere Wälder UND bessere Wildlebensräume stehen. Auf diesem Weg müssen aber sicher noch etliche Zweifler abgeholt und überzeugt werden. Der Landesjagdverband NRW wird diesen Dialog auch zukünftig moderieren. Es bleibt spannend.

Matthias Kruse