Reden ist Silber – und Schweigen ist Schuld...

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Reden ist Silber – und Schweigen ist Schuld...

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Am 19. August 2023 – einem „Schwarzen Samstag“ – kam es im Nord-
westen Deutschlands zu zwei schweren Jagdunfällen, bei denen ein 18-jähriger Jäger getötet und ein 53-Jähriger schwer verletzt wurde. Seitdem hat man davon nie wieder gehört – höchste Zeit, das zu ändern:

Zur Erinnerung zunächst noch einmal die beiden Unfallberichte, die im Spätsommer 2023 die Jägerwelt schockierten:

Tod bei der Krähenjagd in Dötlingen (Oldenburg/NS)
Ein 18-Jähriger kam an diesem Schwarzen Samstag bei einer Krähenjagd in Dötlingen (Oldenburg/Niedersachsen) durch die Waffe seines Begleiters ums Leben. Nach Polizeiangaben wurde der junge Mann gegen 7 Uhr morgens in Dötlingen-Ostrittrum tödlich verletzt. Er war gemeinsam mit einem anderen 18-Jährigen auf der Jagd nach Krähen. Dazu hatten die beiden jungen Jäger auf einem Feld ein Lockbild aufgebaut und saßen gemeinsam hinter einem Schirm an. (Anmerkung der Redaktion: Wie im Nachhinein bekannt wurde, saß in dem Krähenschirm noch eine dritte Person – ein Nichtjäger.) Beim Anflug einer Krähe geriet nach Polizeiangaben einer der 18-Jährigen ins Schussfeld des anderen und wurde von einer Schrotladung getroffen. Ein Notarzt konnte vor Ort nur noch den Tod des jungen Mannes feststellen. Beide Jugendlichen besaßen eine Jagdberechtigung, ihre Waffen wurden sichergestellt. Die Angehörigen wurden durch ein Krisen-Interventionsteam betreut.

Schwerer Unfall am Ententeich in Lippstadt (Soest/NRW)
Am Gut Mentzelsfelde (Lippstadt/Kreis Soest) kam es am Morgen des 19. August ebenfalls zu einem schweren Jagdunfall. Auch wenn in den Medien schnell von Entenjagd die Rede war, handelte es sich dabei keinesfalls um eine Gesellschaftsjagd – Ende August haben Breitschnäbel ja noch gar keine reguläre Jagdzeit. Bei der Hundeausbildung („hinter der lebenden Ente“) wurde ein 53-Jähriger am Kopf getroffen und schwer verletzt. Der Mann aus Wadersloh (WAF) wurde mit einem Rettungshubschrauber in eine Spezialklinik geflogen. Schütze war ein 83-jähriger Jäger aus Rheda-Wiedenbrück (GT). Staatsanwaltschaft Paderborn und Kriminalpolizei übernahmen die Ermittlungen, unmittelbar danach ging man von einem Jagdunfall aus, Hinweise auf eine vorsätzliche Tat gab es nicht. Das tragische Geschehen in unmittelbarer Umgebung des NRW-Saugatters bei Lippstadt ereignete sich im Rahmen der Hundeausbildung („an der lebenden Ente“) zur Vorbereitung auf die Herbst-Prüfungen. Dabei darf unter klar definierten Rahmenbedingungen in Sichtweite des im Wasser auf der Duftspur arbeitenden Hundes auch auf Enten geschossen werden. (Anmerkung der Redaktion: Der damals schwer Verletzte überlebte und konnte nach einiger Zeit das Krankenhaus verlassen. Über seinen aktuellen Gesundheitszustand gibt es keine Erkenntnissse.)

Neue Erkenntnisse – Fehlanzeige
Fast zwei Jahre nach diesen tragischen Ereignissen sollte man eigentlich erwarten können, dass es dazu so etwas wie Abschlussberichte und ggf. auch Urteile geben müsste. Wir haben dazu umfangreiche Nachforschungen angestellt – mit mäßigem Erfolg. So teilte uns die für den Ententeich-Unfall federführende Staatsanwaltschaft Paderborn lapidar mit: „Hinsichtlich des Jagdunfalls vom 19. 8. 23 in Lippstadt wurde bei der Staatsanwaltschaft Paderborn das Ermittlungsverfahren 46 Js 767/23 geführt... es ist mit Zustimmung des zuständigen Amtsgerichts am 22.12. 23 gem. § 153a Abs. 1 StPO gegen Zahlung von 750 € an die Staatskasse eingestellt worden. Die Geldauflage wurde mittlerweile bezahlt. Der Waffenschein/Jagdschein des damals 83-jährigen Beschuldigten ist durch die Verwaltungsbehörde eingezogen worden. Vor diesem Hintergrund gibt es weder einen Abschlussbericht, ein Strafurteil noch ein entsprechendes Gutachten, welche zur Verfügung gestellt werden könnten.“

Noch kürzer war die Stellungnahme
zum tödlichen Krähenschirm-Unfall der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Flensburg. Dieses Gericht war zwar nicht örtlich zuständig (der Unfall passierte ja in Niedersachsen), aber weil der Unglücksschütze (der seit den tragischen Ereignissen mit allem rund um die Jagd gebrochen hat) nach Schleswig-Holstein verzogen ist, in der Sache zuständig: „Ich kann Ihnen mitteilen, dass sich in dem Vorgang kein Gutachten und kein Abschlussbericht finden lassen, die den Sachverhalt eindeutig wiedergeben. Das Strafverfahren ist gegen Zahlung einer Geldauflage an eine gemeinnützige Einrichtung eingestellt worden.“

Übergang zur Tagesordnung?
Die Einstellung der beiden Verfahren ist insofern bemerkenswert, da es in beiden Fällen zu schweren Personenschäden, in einem gar mit Todesfolge kam. Die beiden Staatsanwaltschaften kamen offenbar zur Überzeugung, dass es sich dabei definitiv nicht um vorsätzliche Taten handelte. Zum Anderen konnte man davon ausgehen, dass die Unglücksschützen unter den Ereignissen sicher ihr ganzes weiteres Leben leiden werden. Nun ist die Einstellung von Strafverfahren (ohne Urteil) eine Sache – das Fehlen offizieller Abschlussberichte allerdings eine ganz andere. In der Konsequenz kann man nämlich leider knapp zwei Jahre nach den schrecklichen Ereignissen zum Schluss kommen: „Still ruht der See – tun wir am Besten so, als sei das Ganze nie passiert...“
In vielen Hintergrundgesprächen rund um den Schwarzen Samstag (mit Leuten, die teilweise dabei waren, Vorsitzenden von Kreisjägerschaften, Verantwortlichen für die Wasserarbeit aus Reihen der Jäger und Jagdhunde-Vereinen, Präsidiumsmitgliedern von Landesjagdverbänden u. v. m.) war zwar durch die Bank noch tiefe Betroffenheit spürbar, aber dazu auch der eindeutige Wunsch, „die Sache doch jetzt ruhen zu lassen, es sei ja schlimm genug, man müsse jetzt nicht noch länger in alten Wunden rühren, damit sei doch keinem geholfen...“ Wirklich?

Was wir daraus lernen können – und müssen
Die furchtbaren Ereignisse vom Morgen dieses einen Samstags im Spätsommer 2023 dürfen auf gar keinen Fall in Vergessenheit geraten ! 
- Oft zu hören war in der Diskussion die Befürchtung, eine sorgfältige Aufarbeitung der Unfälle (die bislang völlig fehlt !) würde nur „Jagdgegner auf den Plan rufen“.
- Dazu wurde immer wieder darauf verwiesen, jedes Nachkarten würde doch nur das menschliche Leid aller Betroffenen erneut heraufbeschwören.
Demgegenüber steht allerdings die durch nichts außer Kraft zu setzende Pflicht, aus den Vorkommnissen vom 19. August 2023 endlich Konsequenzen zu ziehen.

Wie kann die Wasserarbeit sicherer werden?
Im Mittelpunkt der Überlegungen zu dem Unfall am Ententeich stehen zwei Fragen-Komplexe:
1. Trugen alle Beteiligten an diesem Tag auf dem Übungsgelände Hunters Orange – also signalfarbene Warnkleidung ? Allein zur Klärung dieser wichtigen Frage wäre ein amtlicher Abschlussbericht sehr hilfreich gewesen.
2. Wurde auf die Ente nicht auf dem Wasser, sondern in viel zu geringer Höhe (flach abstreichend) geschossen – und hätte der Schuss daher unterbleiben müssen ?
Natürlich gibts es ein Regelwerk zur Sicherheit bei der Ausbildung von Jagdhunden bei der Wasserarbeit – erst recht, wenn dabei Schusswaffen zum Einsatz kommen. Aber Papier ist offenbar geduldig. Die besten Regeln taugen nämlich nichts, wenn man sie nicht auch konsequent um-
setzt – im Falles des Unfalls in Lippstadt waren es Folgende:
- Auf dem Gelände dürfen sich während der Übung lediglich berechtigte Personen aufhalten.
- Jede dieser Personen muss warnfarbene Signalkleidung (Hunters Orange) tragen.
- Bei Übungen, bei denen vor dem Hund (in ausreichendem Abstand !) eine auf dem Wasser schwimmende Ente beschossen wird, darf sich niemand im Schussfeld (auf der anderen Seite der Wasserfläche) befinden.
- Geschossen werden sollte nie vom Hundeführer selbst, sondern nur von einem erfahrenen Ausbildungsleiter.
- Auf flach abstreichende Enten darf niemals geschossen werden !
Trotz dieser eindeutigen Regeln kam es zu dem schweren Unfall. Auch wenn leider ein Abschlussbericht fehlt, kann das nur am sog. menschlichen Faktor gelegen haben, d. h. gegen mindestens eine dieser elementaren Regeln muss am 19. August 2023 bei Lippstadt verstoßen worden sein. Um zukünftig ähnliche Unfälle möglichst sicher auszuschließen, bleibt nur der Appell an alle Verantwortlichen in Kreisjägerschaften sowie Prüfungs- u. Zuchtvereinen von Jagdgebrauchshunden:
Sorgen Sie alle gemeinsam dafür, dass elementare Sicherheitsregeln bei der Ausbildung von Jagdhunden gerade beim Einsatz von Schusswaffen penibel eingehalten und umgesetzt werden.
Jeder Verstoß dagegen hat zum Ausschluss von der Ausbildung und ggf. zum Verweis vom Übungsgelände zu führen – und zwar ohne Ansehen, Alter oder Erfahrung der Person!

Wie kann die Jagd im Krähenschirm sicherer werden?
Jeder, der die Jagd im Krähen- o. Taubenschirm praktiziert, weiß um die Besonderheiten dieser zweifellos spannenden Jagdart. In der räumlichen Enge des Tarnschirms gelten ganz eigene Spielregeln. So ist dort schon das Nachladen herkömmlicher Flinten nicht „ganz ohne“: Aus Sicherheitsgründen sollte man dabei – erst recht bei mehreren Personen – den Lauf immer nach oben/vorn aus dem Schirm halten – aber das ist bei den Gesetzen der Schwerkraft nicht gerade einfach. Daher kommen zur Jagd im Schirm oft automatische Flinten zum Einsatz, die man auch in der Enge des Raums sicherer nachladen kann. Stundenlanges Warten auf anfliegendes Wild kann oft langweilig sein – keine Frage. Aus diesem Grund ist es natürlich viel geselliger, sich diese Zeit im Schirm mit einem Jagdfreund zu teilen. Auch klar. Doch damit steigt die Gefahr im Jagdbetrieb exponentiell. Das Regelwerk zum sicheren Einsatz von zwei Flinten aus einem Jagdschirm ist so elementar wichtig, dass es selbst bei minimalen Verstößen dagegen zur Katastrophe kommen kann:
- Niemand darf aufstehen, keiner darf im Stehen schießen.
- Vor jedem Schuss muss der Andere über diese Absicht informiert werden.
Und doch kann es im Eifer des Anflugs (gerade nach ewig langem Warten) durch den menschlichen Faktor zu Verstößen gegen solche Absprachen kommen. Vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse vom 19. August 2023 in Dötlingen stellt sich daher eine ganz andere Frage:
Sollten wir Jäger nicht aus freiwilliger Selbstbeschränkung bei der Krähen- und Taubenjagd aus einem Schirm auf den Einsatz mehrerer Flinten generell verzichten?
Diese Frage regelt letztendlich kein Jagdgesetz – und auch nicht die Unfallverhütungsvorschrift der Berufsgenossenschaft. In Umsetzung der Erkenntnisse aus der Katastrophe am Schwarzen Samstag im Emsland bleibt daher nur:
1. Jeder Jäger sollte nur noch allein in einem Schirm zur Krähen-/Taubenjagd ansitzen.
2. Jeder Beständer/Jagdherr sollte für sein Revier die Nutzung von Schirmen ausschließlich für einen Jäger (mit Waffe) erlauben.
3. Zu Ausbildungszwecken wäre allenfalls noch praktikabel (und dennoch sicher !), wenn nur eine Flinte pro Schirm eingesetzt würde – und sich höchstens ein unbewaffneter Begleiter/Anleiter hinter dem Schützen befindet.
In der Diskussion zur Aufarbeitung der beiden schweren Jagdunfälle kam immer wieder der Hinweis, „man könne schließlich nie alles so regeln, dass es keine Unfälle mehr gäbe... so lange Menschen Fehler machen...“ Das ist sicher richtig. Aber: Wenn am 19. August 2023 gegen 7 Uhr morgens nur ein Jäger im Krähenschirm gesessen hätte, wäre sein 18jähriger Jagdfreund nicht erschossen – und so unendliches Leid verhindert worden. Diese Erkenntnis ist unwiderlegbar – und sollte uns Mahnung und Auftrag sein. Matthias Kruse